Auf dem Weg zum Wörlitzer Park ist es mir zum ersten Mal aufgefallen – Das Kohlekraftwerk Vockerode. Vom weiten sah es schon unheimlich aus und aus der Nähe schien es einen wahrlich zu erschlagen. Da musste es natürlich einen Stopp geben. Das Gelände des ehemaligen Braunkohlekraftwerk Vockerode war an diesem Tag leider abgesperrt. Nach einer kurzen Recherche im Internet fand ich heraus, dass regelmäßig Führungen auf dem Gelände durchgeführt werden. Bedauerlicherweise finden diese Führungen ausschließlich unter der Woche statt. Da musste es erst einmal einen Tag geben, an dem sich die Möglichkeit bietet, das Braunkohlekraftwerk Vockerode zu besichtigen. Jetzt war es aber endlich so weit und ich konnte dieses Industriedenkmal von innen bewundern.
Seit der Schließung des Kraftwerkes im Jahre 1994 hat sich natürlich einiges verändert. Die vier 140 Meter hohen Schornsteine wurden im Jahre 2001 enttäuschenderweise gesprengt. Offiziell aus „Sicherheitsgründen“. Doch ehemalige Mitarbeiter wissen es besser: Sie waren dem angrenzenden Wörlitzer Park ein Dorn im Auge. Mit der Sprengung verlor das denkmalgeschützte Gebäude nicht nur ein Teil seines Wahrzeichens, es verschlechterte auch die Statik der Außenwand. 1960 streifte ein Militärflugzeug eines der riesigen Schornsteine und stürzte ab. Ansonsten macht das Gebäude aber einen guten Eindruck, was auch wohl daran liegt, dass es bewacht wird. Viele ehemalige Mitarbeiter kümmern sich um den Erhalt dieses einmaligen Industriedenkmals. Dennoch ist es in den letzten Jahren zu einem Einbruch gekommen, bei dem ein sehr wertvolles Kabel ausgebaut und abtransportiert wurde. Hier wird Insiderwissen vermutet. Um Vandalismus und Zerstörung zu verhindern, sind heute die meisten Eingänge zugeschweißt.
Das 1937 erbaute Kraftwerk Vockerode kann eine spannende Geschichte vorweisen. Es überstand den Zweiten Weltkrieg unbeschadet, wurde aber von der sowjetischen Besatzungsmacht zur Reparationsleistung zum großen Teil demontiert. Im Jahre 1954 erfolgte der Wiederaufbau des Kraftwerks Vockerode. Dabei wurde das Kraftwerk auch vergrößert. Der Clou: Es wurde in der gleichen Bauweise vergrößert, wie es die Architekten anfangs erschufen. Aus diesem Grund ist dem gesamten Bauwerk nicht anzusehen, dass es aus verschiedenen Epochen stammt. Nur an der Farbe der Backsteine sind die Anbauten zu identifizieren. In der Blütezeit der DDR beschäftigte das Kraftwerk Vockerode ungefähr 1300 Mitarbeiter. Diese ließen sich auch wohntechnisch in der Nähe nieder und hatten mit vielen Sozialleistungen auf dem Gelände ein für DDR-Verhältnisse guten Arbeitsplatz. Heute gibt es einen großen Leerstand an Wohnungen und Häusern in und um Vockerode. Nach der Schließung des Kraftwerk Vockerode Mitte der 90er Jahre sahen viele Menschen in der Region für sich keine Perspektive mehr. Heute wartet das Gelände auf einen Investor. Die bisherigen Bemühungen diverser Organisationen das Gelände wiederzubeleben scheiterten.
Die kostenlosen Führungen werden größtenteils von ehemaligen Mitarbeitern durchgeführt. Diesen merkt man noch die tiefe Verbundenheit zu ihrem alten Arbeitsplatz an. Gerne beantworten sie jede Fragen und geben auch viel technische Informationen Preis – auch wenn ein Laie es sicherlich mal schwer hat, den ganzen elektrotechnischen Details zu folgen. Über die einstige Steuerzentrale des Kraftwerkes geht es durch die riesigen Turbinenhallen. Auch die Dampfkessel inklusive des Feuerraumes werden gezeigt. Ganz toll ist auch das große Modell des Kraftwerkes Vockerode, das in jahrelanger Arbeit ehemaliger Mitarbeiter schufen. Anhand dieses Modells bekommt jeder Besucher überhaupt erst einmal eine Ahnung von dem Ausmaß des Geländes, was heute ja viel kleiner ist. Höhepunkt der Führung ist natürlich auch die Aussichtsplattform. Wenn das Wetter mitspielt, gibt es einen echt grandiosen Ausblick bis über das Wörlitzer Gartenreich.
Fazit: Die Führung durch das Kraftwerk Vockerode war eine ganz tolle Sache. Nicht oberflächlich oder kommerziell. Es war sehr lehrreich und spannend. Das ganze Gebäude ist eine einzige Reise in die Vergangenheit. Die gesamte Technik stammt teilweise noch aus den 50er und 60er Jahren. Schwer zu glauben, dass dieses Museum bis 1994 noch am Netz war. Die ganze Führung dauerte 2 Stunden. Bei Minus 10 Grad hat es aber für den Tag dann doch erst einmal gereicht. Ein absolutes Muss für ambitionierte Fotografen und Industriedenkmal Fans.