Zwei nördliche, aneinander grenzende Berliner Stadtteile. Doch wo lebt es sich besser? Ist es eher das Englische/Afrikanische Viertel (EV/AV), die Perle des Wedding, oder doch eher das Märkische Viertel in Reinickendorf, mit seinen Bausünden und dem zweifelhaften Ruf? Nehmen wir beides doch einmal genauer unter die Lupe.
Architektur
Hier ist natürlich schlecht ein Vergleich zu ziehen. Gründerjahre gegen Betonklötze der 60er und 70er Jahre, ein ungleicher Kampf. Optisch ist das Teilstück zwischen Leopoldplatz und Afrikanischer Straße von Berlin-Wedding natürlich dem Märkischen Viertel in Wittenau überlegen. Nicht überall in der Stadt gibt es so gut erhaltene Altbauten und Siedlungen aus den Anfängen des letzten Jahrhunderts wie im nördlichen Wedding. Das Märkische Viertel wirkt in einigen Bereichen sehr trist, gerade am Senftenberger Ring, wo einige Wohnhausblöcke doch schon arg in die Jahre gekommen sind. Bunter hingegen sind die vielen sanierten Wohnhäuser am Wilhelmsruher Damm, am Eichhorster Weg oder in der Finsterwalder Straße. Wegen des farbenprächtigen Anstriches der Gebäude wird ein Teilbereich des Märkischen Viertels auch im Volksmund "Papageiensiedlung“ genannt. Hier wirkt die Gegend sauber, hell und freundlich, trotz der wuchtigen Wohnklötze. Energetisch Saniert Vs. Altbau. Wer auf Holzdielen, hohe Wände und schicke Fenster steht, würde im Märkischen Viertel wo kaum glücklich werden. Hier ist es eher praktisch und genormt. Bruno Taut Vs. Karl Fleig und Renè Gagés, das muss jeder für sich selbst entscheiden, was er besser findet. Für mich macht hier der Wedding das Rennen.
Grünanlagen
Der nördliche Wedding ist im Nordosten mit dem Schillerpark und im Südwesten mit dem Volkspark Rehberge umgeben. Das Märkische Viertel in Wittenau bietet im Westen den Volkspark Wittenau und im Nordosten den schon zu Lübars gehörenden Erholungspark Lübars als grüne Anlaufstelle. Im Wedding sind beide Parks sehr nahe aneinander gelegen und bilden damit eine grüne Ummantelung des Englischen und Afrikanischen Viertels. Darüber hinaus bieten beide Parks Einkehrmöglichkeiten. Hinter den Rehbergen auch noch der Plötzensee, Legale (Strandbad) oder illegale (über den Zaun klettern) Schwimmmöglichkeiten. In den Grünanlagen von Wittenau keine Lokalitäten, eine Ausnahme ist nur der Familienhof vor dem Erholungspark Lübars. Um 17:00 Uhr ist da aber schon dicht. Schade auch, dass die Feuer- und Grillstellen im Freizeitpark Lübars nur noch illegal genutzt werden dürfen. Die Grünflächen direkt im Märkischen Viertel sind etwas in die Jahre gekommen, die Ententeiche allenfalls für Rentner interessant. Der Zum Hotel Rheinberg gehörende Biergarten ist viel zu teuer. Positiv in Wittenau ist die Sauberkeit der Grünanlagen. Durch die straffe Hunderegel der Wohnungsgesellschaften liegt im Märkischen Viertel und in den angrenzenden Anlagen wesentlich weniger Hundescheiße als im Wedding herum. Auch das Problem der unerlaubt frei laufenden Hunde ist hier viel geringer. Schwimmen geht gut im Strandbad Lübars. Eindeutiger Vorteil Wedding.
Verkehrsanbindung
Im Wedding hatte ich die U-Bahn direkt vor der Haustür. Das Märkische Viertel ist nicht an die U-Bahn angebunden. Der Transport wird mit Bussen durchgeführt. Oft sind diese maßlos überfüllt. Sehr zeitintensiv. Wedding (EV/AV) Vs. Wittenau (MV): Vorteil Wedding.
Einkaufen
Die Müllerstraße in Berlin-Wedding hatte mit ihren Geschäften nicht sonderlich viel zu bieten. Zuletzt gab es eigentlich nur noch Karstadt als einzig überlebende Bastion der Kaufhausgeneration. Ansonsten fast nichts anderes als Dönerläden, Bäckereien, Blumenläden oder Ramsch. Mich hat das nie gestört, denn seit 2003 habe ich den Besuch von Kaufhäusern eingestellt und bin auch das bequemere Internet umgestiegen. Das Märkische Zentrum ist kompakter angelegt, leidet aber auch unter der mangelnden Kaufkraft der Kunden. Wie auf der Müllerstraße in Wedding stehen auch in der Märkischen Zeile viele Geschäfte leer oder es ziehen 1 Euro Läden ein. Also in diese Fall: Gleichstand.
Image
Die Medien greifen sich ja regelmäßig immer wieder gerne Berliner Bezirke heraus, auf denen sie dann jahrelang herumhacken. Negative Berichte gibt es über den Wedding genauso wie über das Märkische Viertel in gleichbleibenden Abständen. Hier muss aber erwähnt werden, dass die Medien bei der Berichterstattung über den Wedding schreiben, aber eigentlich den Bezirk Gesundbrunnen meinen. Beide Bezirke besitzen einen hohen Ausländeranteil. Im Märkischen Viertel liegt laut erhobener Daten der Ausländeranteil unter 8 % (ich zweifele diese Zahl allerdings stark an). Im Schnitt sind es 13 % in anderen Teilen Berlins. Gewalt und Drogendelikte gibt es auch weniger als immer wieder behauptet wird. Hier leiden beide Teile Berlins unter dem gleichen Problem. Unentschieden. Beide Abschnitte Berlins werden das schlechte Image nicht los.
Lautstärke
Wenn der Flughafen Tegel startende Flugzeuge gen Osten schickt, dann wird so mancher Einwohner im nördlichen Wedding schon um 6 Uhr aus den Federn schrecken. An schlechten Tagen startet gefühlsmäßig alle 5 Minuten ein Flieger, eine Unterhaltung ist ohne Unterbrechung so kaum möglich. Auch die stark befahrene Müllerstraße trägt maßgeblich zum Lärmpegel im nördlichen Wedding bei. Trotz Sichtweite zum Flughafen ist der Lärm startender Flugzeuge im Märkischen Viertel nur selten zu hören. Laut ist der Wilhelmsruher Damm. Durch die frei stehenden Hochhäuser fängt sich der Lärm auch um die Ecke. Auch wenn das Zimmer zur Seitenstraße mündet, ist es deswegen laut. Durch die engere Bebauung im Wedding existiert dieses Problem nicht. Trotzdem: Vorteil Märkisches Viertel.
Nachtleben/Kulinarisches & Trinkspaß Was ist so los im Wedding? Viel fällt einem da nicht ein, aber hier und da gibt es doch tatsächlich noch das eine oder andere vernünftige Restaurant. Ansonsten bestimmen Fastfood-Läden, Spätkaufs, Telefon- und Internetcafés das Viertel. Clubs? Nein, Fehlanzeige. Und wie sieht das im Märkisches Viertel aus? Leider noch schlechter. Restaurants gibt es, einige scheinen auch gar nicht mal so schlecht zu sein, weil immer gut besucht. Aber ein Spätkauf oder irgendwelche Bars, da ist die Auswahl sehr bescheiden. Es gibt noch nicht mal ein Internetcafé. Das Einzige, was hier 24 Stunden geöffnet hat, ist die Esso-Tankstelle Eichhorster Weg. Der Dönerladen am Märkischen Zentrum hat noch lange auf, das war’s dann aber schon. Fazit: Mehr Leben im Wedding.
Preise
Rund um die Müllerstraße in Berlin-Wedding haben sich die Geschäfte schon recht gut an den Einkommen der meisten Bewohner angepasst. Hier ist es möglich so günstig essen gehen zu können, dass sich das Kochen als alleinstehende Person wirtschaftlich gar nicht mehr lohnt. Cafés, Bars, Restaurants. Oft nicht besonders einladend, aber vorhanden und preiswert. Und im Märkischen Viertel? Kaum ein Vergleich. Ein paar Restaurants (teuer) und unattraktive Gaststätten, die auch alles andere als preiswert sind. Vorteil Wedding.
Sport
Fußball, Tennis und viele andere Sportarten sind im nördlichen Wedding möglich. Auch betreibt die Low-Budget Kette „McFit“ hier ein Studio. Im Märkischen Viertel ist die Auswahl an Sportmöglichkeiten noch etwas besser. Es gibt zentral ein Schwimmbad, eine Minigolfanlage und für schwindelfreie Menschen eine kostenlose Kletterwand. Auch betreiben die „Flamingos“, ein Baseball-Club, hier ihr Trainingscamp. Es gibt zwar kein McFit, dafür hat sich die Kette „Crunch Fit“ im Märkischen Zentrum eingemietet. Innerhalb des Märkischen Viertels gibt es ausgebaute Laufwege mit fest installierten Trimm-Dich Geräten. In Sachen Sport sehe ich das Märkische Viertel im Vergleich als Gewinner.
Fazit: Unter dem Strich hat der Wedding eindeutig die Nase vorn. In vielen Bereichen hat der Wedding die kürzeren Wege. Während im Märkisches Viertel ab 22 Uhr tote Hose ist, pulsiert das Leben im Wedding bis tief in die Nacht. Das Märkische Viertel ist eine reine Schlafstadt. Wäre die Arbeit nicht gleich nebenan, würde ich schnell das Weite suchen.
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