Gerd Appenzeller's Fake News und Qualitätsjournalismus

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Wöchentlich grüßt das Murmeltier. Jede Woche in Form eines Newsletters von Herrn Gerd Appenzeller. Dort begrüßt mich Herr Appenzeller sogar mit persönlicher Anrede. Herr Appenzeller vom Tagesspiegel hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Reinickendorfer Bevölkerung stets auf dem Laufenden zu halten. Mit Baujahr 1943 sollte Herr Appenzeller aber eigentlich schon längst in Rente sein. Ob die geringe Altersvorsorge oder die Langeweile Herrn Appenzeller weiterhin an den Redakteursstuhl kleben lässt, sei mal dahingestellt.  Zugegeben, oft ist dieser Newsletter sehr interessant und ich lese ihn auch gerne. Doch der letzte Serienbrief von Herrn Appenzeller aus Hermsdorf irritierte doch ein wenig. Er prangerte dort private Blogs an, die seiner Meinung nach sogenannte Fake News verbreiten. Was der ältere nette Herr dort so schrieb, ist es wert ein wenig unter die Lupe genommen zu werden. 

In praktisch allen Berliner Bezirken gibt es Blogs, auf denen sich Menschen über das Internet zu alltäglichen Dingen austauschen und informieren. Man sieht Fotos schöner Landschaften, liest in der Rubrik Gesucht/Gefunden, was jemand zu verkaufen oder verschenken hat, was ein anderer braucht. Veranstaltungen vom Kitabasar bis zum Trödelverkauf werden angekündigt. Die Blogs sind richtig gute Nachbarschaftsportale

Richtig erkannt! Allerdings haben Dinge wie Gesucht/Gefunden nur wenig mit einem klassischen Blog zu tun. Und Facebook-Seiten mit Interessengemeinschaften sind ebenfalls kein Blog genauso wenig wie irgendwelche Nachbarschaftsportale.

Aber seit einigen Monaten spüre ich bei einigen eine Veränderung der Thematik und der Tonlage. Manche Beiträge werden polemischer, das Vokabular lässt auf AfD-Nähe der Verfasser schließen. Das ist nicht mein Stil, aber im Rahmen der demokratischen Auseinandersetzung  hinzunehmen.

Ist ja interessant, dass nach vielen Jahren auch endlich mal registriert wird, dass die Stimmung in diesem Land nicht besonders gut ist. Manche brauchen eben etwas länger, um zu kapieren. Erschreckend ist allerdings die Aussage, dass jeder, der nicht die Meinung des Schreibers vertritt, ein potenzieller AFD-Sympathisant ist. Sollten Journalisten nicht neutral sein? In welche politische Richtung der Autor tendiert, ist hier offensichtlich.

Problematisch wird es, wenn Behauptungen und Zuschreibungen auftauchen, für die es keine Belege gibt. Wer nicht „deutsch“ aussieht, ist ein „Merkelmann“, also ein Flüchtling oder Zufluchtsuchender. Zukünftige Bewohner einer Unterkunft im Märkischen Viertel sind „Merkelgäste“. Ein auf frischer Tat von der Polizei ertappter junger Mann erhält das Etikett, man sehe ja schon, woher der komme. Wenn gegen solche Pauschalurteile argumentiert wird, verschwinden diese anderen Meinungen schnell…

Einerseits moniert hier der Schreiber die angeblichen Vorurteile einiger Leute gegenüber anders aussehende Menschen, andererseits ist es für ihn völlig okay, Menschen mit anderen Meinungen als seiner eigenen, eine AFD-Nähe zu unterstellen.

Und es gibt immer wieder Vermutungen über Straftaten, von denen die Presse aus mysteriösen Gründen nicht berichte.

Dass Presse und Medien immer noch viele Dinge verheimlichen oder relativieren, weil es die Regierung so wünscht, ist den Menschen in den letzten drei Jahren nicht ganz entgangen. Und Fake News gibt es auch in den sogenannten Qualitätsmedien. Daher orientieren sich immer mehr Leute an alternative Medien wie Blogs, weil diese eben mittlerweile vertrauensvoller wirken. Gerade, wenn es um Verbrechen oder politische Dinge geht.

Dass ich als Journalist das nicht nur lesen, sondern dringend darauf reagieren sollte, wurde mir bei diesem Userkommentar klar: „Nur mal so zur Info: Gestern Abend wurde der Kiosk in der Titiseestraße überfallen… und kurz darauf wohl auch die Hem-Tankstelle am Zabel-Krüger-Damm…auch nur komisch, dass nirgends eine Zeile darüber zu lesen ist.

Das ist für einen Journalisten einer recht unbedeutenden, aber immerhin auflagenstarken Berliner Zeitung natürlich großer Mist. Amateure sind schneller. Die Erklärung ist einfach:

Ich stutzte. Ja, warum war darüber nichts zu lesen? Zu spät für den Redaktionsschluss?  Ich schaute im Polizeibericht. Da stand auch nichts. Merkwürdig. Ich rief bei der Pressestelle der Polizei an – und erfuhr, dass längst nicht alle gravierenden Straftaten auch im Polizeibericht auftauchen – es seien einfach zu viele, auch im Tatsegment Raubüberfälle.[…] Den Überfall auf den Kiosk in der Titiseestraße hat es tatsächlich gegeben, wie meine Nachfrage ergab, natürlich hatte die Polizei dazu einen Bericht, er war nur nicht veröffentlicht worden […]"

Der Tagesspiegel orientiert sich also ausschließlich an Polizeiberichten. Interessante Arbeitsweise. Nun, wem die Polizeibehörde unterstellt ist, weiß jeder. Es weiß auch jeder, dass alle Polizeiberichte gefiltert werden, so wie es die Regierung eben gerne hat. Dazu kommt das völlige Chaos, was in dieser Behörde herrscht.

Von einem Überfall auf eine Tankstelle weiß die Polizei nichts. Weder auf die Tankstelle am Zabel-Krüger-Damm, noch auf eine andere Hem-Tankstelle an der Berliner Straße, noch auf eine dritte. Man kann davon ausgehen, dass es ihn nicht gab, denn dass überfallenes und beraubtes Personal einer Tankstelle nicht die Polizei ruft, ist unwahrscheinlich.

Ach so. Wenn die Polizei von nichts weiß, kann ja auch nichts passiert sein.

Ohne dass ich damit Misstrauen gegenüber der Pressearbeit der Polizei ausdrücken will (ich habe keinen Grund dazu), empfinde ich es als unbefriedigend, dass die Polizeipressestelle für mich eine Vorauswahl dessen trifft, was berichtenswert sein könnte.

Wie wäre es mit eigener Recherche? Informanten suchen, nachfragen, nerven. Mal selbst alle Tankstellen rund um den Zabel-Krüger-Damm befragt? Wohl eher nicht. Es ist ja auch einfacher einen Polizeibericht zu übernehmen und diesen als Wahrheit zu verkaufen und alle anderen Meldungen dann als Fake News zu denunzieren. So geht Journalismus 2018.

Wenn Sie selber von schwerwiegenden Straftaten hören, schicken Sie mir bitte eine Mail – ich werde mit Hilfe der Pressestelle der Polizei versuchen, den Sachverhalt aufzuklären, und ich werde darüber berichten.

Unfassbar. Jetzt soll die Bevölkerung die Arbeit der Journalisten übernehmen, anstatt diese sich selber bemüht zu recherchieren. Die Zusammenarbeit mit der Polizei ist die Zusammenarbeit mit dem Staat. Besonders mit deren Presseabteilung. Unabhängiger und freier Journalismus sieht anders aus.

Und wenn Sie selber in einem der Blogs hier im Bezirk aktiv sind – denken Sie bitte vorher darüber nach, ob Sie ein Gerücht, über das man am Stammtisch unter Freunden immer folgenlos reden kann, auch an einen Kreis von weit über 1000 Empfängern eines solchen Nachrichtenkanals weiterleiten sollte.

Hier werden Blogs zu dummen Stammtischgerede diffamiert. Ein Journalist fordert den Bürger auf, seine Arbeit zu übernehmen. Kein Wunder, dass Zeitungen kurz vor dem Abgrund stehen. In diesem Beispiel zeigt sich ganz deutlich, dass eine Tageszeitung nur ein Sprachrohr der Regierung ist. Copy & Paste von der Pressestelle der Polizei. Das wird auch noch offen und ungeniert zugegeben.

Hier zeigt sich deutlich der journalistische Offenbarungseid. Wer schon als Journalist in der Bevölkerung darum betteln muss, mit Informationen beliefert zu werden, weil man selbst sich offensichtlich nicht in der Lage sieht, sich diese zu besorgen, sollte besser ganz schnell seinen Job an den Nagel hängen. Sich mit fremden Federn schmücken unter dem Deckmantel „ich regele das für sie“ – sehr fragwürdig.

Update 25.07.23018: Der letzte Newsletter von Herrn Appenzeller ist offensichtlich nicht bei allen Lesern gut angekommen. Heute wurde ein neuer Newsletter verschickt. In diesem Newsletter reagierte Herr Appenzeller auf gewisse Reaktionen seines letzten Pamphlets sehr dünnhäutig. Er beschwerte sich erneut über angeblich AFD-nahe Beiträge auf dieser Seite und verriet dieses Mal auch den Namen der Plattform. Mit der AFD hat Herr Appenzeller scheinbar wirklich ein Problem. Dabei tut er gerade so, als ob sich diese Partei im vergangenen Jahr in den Bundestag geputscht hat. Aber in diesem Punkt ist Herr Appenzeller ja kein Einzelfall und befindet sich in bester Gesellschaft. Die Facebook-Gruppe, dessen Mitglied Herr Appenzeller übrigens auch war, hat ihn mit einigen anderen Mitgliedern zusammen hinausgeschmissen. Zurecht. Und wieder klagt Herr Appenzeller über Fake News. Die Plattform verkündete unter anderem:

Liebe Mitglieder, leider mussten wir feststellen, dass es in dieser Gruppe ein paar Maulwürfe gab, die Inhalte und Infos in dieser Gruppe nach draußen getragen und in einer völlig falschen Sichtweise dargestellt haben (Wir seien alles Nazis, Brauner Sumpf, Völkisches Denken, Bewusste Verbreitung von Fake News, Hassmails und Hetzerischen Posts).

Herr Appenzeller reagierte darauf:

Es ging um die Gruppe „Mein Reinickendorf“, deren Mitgliedern ich weder unterstellt habe, dass sie Nazis seien, noch ein brauner Sumpf. Aber so etwas zu behaupten, auch das gehört eben zur Systematik der Fake News…

In diesem Punkt hat Herr Appenzeller recht. So etwas hat er niemanden in seinem Newsletter direkt unterstellt. Aber in der Antwort der Gruppe unterstellt ihm diese ja auch nicht, dass genau er diese Aussage getätigt hat. Mal sehen, ob die Reinickendorfer Fakenews in eine nächste Runde gehen.

Quelle: Tagesspiegel

Autor: Gerd Appenzeller

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Hendrik Lorenz

*1970 in Braunschweig.
Technischer Redakteur, Offsetdrucker und professionelles Arschloch.

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Kommentare

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God Tonya, come over email!!!! postamt@hendrik-lorenz.de
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Ich war letzte Woche, Anfang Juni, dort Übernachten. Ziemlich unruhig dort. Kann man nur am WE besuc...
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